geschichte
- Erinnerungen -

Saure Heringe und der Speiseplan des Rittmeisters


Günter Husmann

Saure Heringe und der Speiseplan des Rittmeisters
Als wir 1945 - noch einmal davongekommen - heimkehrten, geschah die erste Annäherung an.
Als ich ein kleiner Junge war, erzählte mir meine Tante immer wieder von den schönen Zeiten Oldenburgs als Residenzstadt. Als älteste von sieben Geschwistern hatte sie die alte Grundschule in Eversten besucht und arbeitete als „junges Mädchen" in der Küche der Haslinde Hoyer-Brauerei in Ohmstede. Dort lernte sie die herrschaftliche und die feine Küche kennen. Sie schwärmte vom größten Auto des Brauerei-Besitzers und den vielen Festen. Nach einigen Jahren wechselte sie zum Rittmeister von Lengerke, der an der Gartenstraße eines der stattlichen Häuser bewohnte, um ihm den Haushalt zu führen. Sie erzählte von den rauschenden Festen der Offiziere und hörte vieles vom Hof des Großherzogs, etwa die Erzählung vom „Residenz-Report". Nicht immer fand dessen Inhalt den Beifall des Hofes. So saß der Herausgeber häufig im Gefängnis, weil er die Familie des Großherzogs gern zum Anlaß seines Spottes nahm. Als die Tochter Charlotte „guter Hoffnung" war, hatte er z.B. berichtet, daß die Charlotten in diesem Jahr besonders dick ausfallen würden. Wieder ein Grund für einige Tage Knast.
 
Beim Rittmeister mußte der Speiseplan jeweils montags auf die Tatsache abgestimmt werden, daß am Wochenende reichlich Alkohol geflossen war. Unser Familienspeiseplan wurde von 1930 bis 1934 vom Speiseplan des Rittmeisters beeinflußt und las sich wie folgt: Sauerkraut mit Kartoffelpüree mit Sauce vom Sonntag, abends „Arme Ritter", Brötchen der vergangenen Woche, eingeweicht, gebraten, mit Zucker bestreut zum aufgewärmten Sauerkraut. So war das auch beim Rittmeister.
 
Um „saure Heringe" gab es sogar einen Konkurrenzkampf: Einige Häuser weiter hatte der Postbeamte Meißner gebaut, und seine Frau Ida wollte unbedingt einen Laden eröffnen. Sie war eine zielstrebige Frau, die sommers wie winters zur Badeanstalt fuhr und ihr morgendliches Bad nahm. Bei Frost schlug sie sogar ein Loch ins Eis, um zu baden. Nun hatte meine Mutter schöne Heringe und damit einen guten Umsatz. Also legte auch Ida Meißner „saure Heringe" ein. Das blieb meiner Mutter nicht verborgen, weil Frau Bednarzyk eines Tages sagte: „Du, Minna, bei Ida Meißner sollen die Heringe nur zwanzig Pfennig kosten, für die du dreißig nimmst." Meine Mutter entgegnete: „Dann müßt ihr die mal probieren." Anderntags kam Frau Bednarzyk entsetzt vorbei:" Du, Minna, die Heringe von Ida Meißner waren gar nicht ausgenommen, und wir haben uns geekelt." Darauf hat Ida den Kampf aufgegeben.



Günter Husmanns Eltern im Laden, der damals "riesengroß" war.

Im Stallanbau waren an der Ostseite die Speisekammer und die Räucherkammer; ganz hinten befand sich der Schweinestall. An der Westseite lagen die Waschküche und der Ziegenstall, auf der „Hille" über dem Ziegenstall befand sich der Tagesbedarf an Torf. Ganz hinten war „Tante Mexer", auch „Paddemang" genannt. Natürlich gab es kein fließendes Wasser. Geheizt wurde nur ein Raum, die Küche; sie wurde gewärmt durch den Küchenherd mit Holz und Torf. Nur in ganz kalten Wintern wurde auch Kohle verheizt. Die Weihnachtstage waren so ziemlich die einzigen Tage, wo auch in der großen Stube eingeheizt wurde. In der Küche befand sich die Pumpe für das Trink-wasser aus dem Brunnen. Sonnabends wurde die Pumpe mit Sidol geputzt, das Kupfergehäuse blinkte dann rötlich; gelb stach davon das Messing-Schild ab: Karl Fehlhaber, Gerberhof. In der Waschküche war die gußeiserne Pumpe für das Waschwasser, Regenwasser aus der Zisterne unter der Speisekammer.
 
Die Treppe zum Stallboden war ziemlich steil, es war mehr eine Leiter, auch die Tür vom Stallboden zu der Küche im Obergeschoß würde heutigen Vorschriften nicht entsprechen. Sie war so niedrig, daß man sich ganz schön bücken mußte. Aber eine ganze Reihe von Häusern dieser Art stehen heute noch, wenn auch renoviert. Allzuviel verändert haben sie sich nicht, ein Zeichen, daß man auch schon vor siebzig, achtzig Jahren ganz modern bauen konnte. 

Quelle:

Hans-Günther Zemke (Hg), "Eversten an der Schwelle zum Jahr 2000", Verlag Ernst Knoth, Melle 1999, ISBN 3-88368-310-8. Günter Husmann, Oldenburg